Am 24.6. hat eine unabhängige Aufarbeitungskommission im Auftrag der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers ihren Bericht vorgestellt.
Sofort wurde er (begeistert?) von den Medien aufgenommen und öffentlich. Ich habe den Hinweis von meiner lieben Schwiegertochter, die eigentlich mit ‚Kirchens‘ nichts am Hut hat. Ich fürchte und vermute, die sehr gute und voll berechtigte Aufarbeitung der Kommission wird nun instrumentalisiert, um ‚Öl ins Feuer zu gießen‘. Je nach Interesse und eigener Position meint man, der ‚Kirche‘, den ‚geistlichen Gemeinschaften‘, der ‚Mission‘ und ‚Evangelisation‘ oder den ‚Pietisten‘ und ‚Evangelikalen‘ nun nachweisen zu können, dass sie nicht glaubwürdig sind, heucheln und Macht missbrauchen …
So kann diese Aufarbeitung leider zu genau dem benutzt werden, was sie anprangert: Die Fakten und wissenschaftlich systematische Aufarbeitung werden als Mittel eingesetzt, Vorurteile zu bedienen, schwarz/weiß zu malen und als Machtinstrument gegenüber all jenen eingesetzt, die irgendwie in diese ‚Szene‘ gehören. Wer also die Berichte benutzt, um zu belegen, dass sich die in den Kreisen um Vollmer und Hermannsburg verbreiteten und geglaubten theologischen Inhalte der Verkündigung als auch die gelebte Frömmigkeit nun als unglaubwürdig und verlogen erwiesen haben, der oder die liegt nicht nur falsch, sondern hat den Bericht für eigene Zwecke instrumentalisiert. Das vorweg.
In Ergänzung, nicht in Korrektur meiner bisherigen Ausführungen (siehe Blog vom 19.2.2022 „Klaus Vollmer – schwul, ja und?“) einige Anmerkungen:
1. Ich habe den Bericht gelesen und bin schockiert!
Ein solches Ausmaß an Abgründen, Lügen, Missbrauch, blinder Gefolgschaft, Abhängigkeiten, Verletzungen, Irrwegen und Schuld habe ich nicht erwartet. Wäre Klaus am Leben, würde er sich vor Gericht verantworten müssen und nach dem Bericht eine Freiheitsstrafe bekommen. Zurecht. Es geht ja längst nicht mehr um die Frage der Homosexualität meines verstorbenen Ex-Kollegen und Bruders Klaus. Es geht um Pädophilie unter religiösem Deckmantel. Es geht um Machtmissbrauch und den Missbrauch von Gottes Berufung für eigene Zwecke. Es geht um das Zurechtbiegen von Theologie und Lehre zur Rechtfertigung des eigenen Lebensstils. Es geht um ein von vielen gedecktes Doppelleben, das großen Schaden in Biografien angerichtet hat. Es geht um jemanden, der das Evangelium überzeugend verkündigt hat, es dann aber durch seinen Missbrauch mit Füßen getreten hat.
Also: Auch ich halte eine Korrektur meines Bildes von Klaus Vollmer für unbedingt nötig.
Zwar hatte ich als Kollege bei den Missionarischen Diensten nur punktuell mit ihm zu tun – aber als jemand, der ihn als Segensträger Gottes, nachgewiesen an tausenden Menschen, die durch ihn Impulse für ihren Glauben bekamen, definiert hat, war auch ich zu einseitig und zu wohlwollend ihm gegenüber. Ich habe ihn eingeordnet in die Linie der ‚Sünderkirche‘ und etwa mit S. Paul Raj verglichen, den indischen Kirchengründer. Dabei bleibe ich – aber wenn jemand dies als Relativieren interpretiert und der ‚Sünde‘ damit irgendeine Berechtigung zuspricht, liegt er oder sie falsch. Nein, was wir hier lesen und was da in Jahrzehnten passiert ist, kann und darf durch niemanden und schon gar nicht durch uns auch nur in Ansätzen gerechtfertigt werden!
2. Mich bewegt die Situation der betroffenen Gemeinschaften.
Auch den Bericht der Aufarbeitungskommission der ‚Evangelischen Geschwisterschaft e.V.‘ (Version 2022) habe ich gelesen. Alle Achtung, dass ihr es hingekriegt habt, so offen und radikal mit eurer Geschichte umzugehen und euch zu erneuern. Ich bete und hoffe für euch und eure Zukunft.
Im gestern vorgestellten Bericht wird auch die Aufarbeitung der ‚Hermannsburger‘ gefordert, also jener Bewegungen um Olaf Hansen, Reinhard Deichgräber und … auch Eckard Krause? Nicht nur die Gruppe 153 oder die Koinionia, auch der Freundeskreis Missionarische Dienste (FMD) ist eine Frucht aus Hermannsburg. Wie der Hof Beutzen, der leider Ort für viele der im Bericht beschriebenen Missbräuche war, sind auch das Missionsseminar, die Mitarbeiterschule, damals Haus Lutterloh und eben auch das Missionarische Zentrum in Hanstedt Orte einer geistlichen Gemeinschaft geworden. Um es platt auszudrücken: Auch das MZ hat viele Betten! Zudem gab und gibt es auch dort Mitarbeitende, die viele, vor allem junge Menschen, inspiriert haben und die durch sie zum christlichen Glauben fanden.
Auf den Hintergrund des vorliegenden Berichtes verstehe ich nun, dass die Landeskirche in den letzten Jahren auch beim MZ Hanstedt aufsichtsrechtlich genauer hingeschaut und z.B. die Erarbeitung eines ‚Schutzkonzeptes‘ verlangt hat.
Ich überblicke ‚nur‘ die Vergangenheit – und das auch nur aus meiner Perspektive.
a) Der FMD hat bewusst auf geistliche Verbindlichkeiten verzichtet und sich nie als ‚Bruder- oder Geschwisterschaft‘ gesehen, sondern eben als ‚Freundeskreis‘. Bis auf Zustimmung zur Präambel und ein kleiner Beitrag für den e.V. unterliegen die Mitglieder keinen Regeln, mit denen irgendwer Macht ausüben könnte. Geistliche und theologische Vielfalt sind somit Teil der Identität des FMD.
b) Das MZ wurde tatsächlich durch einen ähnlich wie Klaus Vollmer begabten charismatischen Evangelisten initiiert. Eckard Krause hatte in den 70ern ebenfalls Missionsseminaristen ‚um sich gesammelt‘. Die Entwicklung des ‚Lutterloh-Kreises‘ verlief jedoch anders als die der verbindlichen Gemeinschaften in Hermannsburg. Nach Jahren im Ausland kamen die Seminaristen als verheiratete Familienväter zurück. Zur ‚Hanstedt-Familie‘ gehörten Frauen und Kinder. An der Seite von Eckard Krause standen von Beginn an keine Vasallen und irgendwie abhängige ‚Schüler‘ oder ‚Gefolgsleute‘, sondern erwachsene, eigenständige Mitarbeiter. Ich selbst habe mich immer gewundert, wenn uns in Hanstedt unterstellt wurde, ‚im Schatten von Eckard Krause‘ zu stehen und aus ihm ein kleiner ‚Klaus‘ gemacht wurde. So sehr er es von seiner Predigtweise und vielen inhaltlich-theologischen Akzenten auch war und so sehr Eckard persönlich zu Klaus ein enges, wenn auch differenziertes Verhältnis hatte – so wenig hat er das MZ Hanstedt und den FMD wie ein Abt ‚seine‘ Bruderschaft dominiert und dirigiert. Im Gegenteil: Eckard hatte dies in Hermannsburg durch die dort agierenden geistlichen Leiter an sich selbst erlebt und erlitten und war völlig abgeschreckt davon. Was wir von innen als Team und kollegiales Miteinander erlebten, wurde von außen manchmal als ‚Krauses Arbeit‘ definiert. Es stimmt, das Eckard Krause tatsächlich viele geistliche Impulse gesetzt hat und ‚Hanstedt‘ zu Beginn maßgeblich, dann unter anderem dadurch eine große Ausstrahlung bekam. Dies bedeutete jedoch gerade nicht die Bindung an einen ‚Guru‘, sondern das Miteinander vieler.
c) Im MZ waren immer Männer und Frauen engagiert. Zwar waren zu Beginn ‚nur‘ drei männliche ‚Häuptlinge‘ (Krause, Kruse, Brünjes) das Gegenüber von Hausgemeinde und den Hausangestellten – aber es waren eben immer auch Frauen im Gesamt-Team. Mit Annette Köster und später anderen waren dann auch Frauen Teil der geistlichen Leitung. Welche Rolle auch immer die gleichgeschlechtliche Gemeinschaft bei sexuellem Missbrauch spielt – das MZ war immer ‚hetero‘ aufgestellt und vielleicht haben sich auch deshalb keine Machtstrukturen wie in entsprechenden Männergesellschaften etabliert. Primär im Blick beim Schutzkonzept sind aus diesem Grund ehr sexuelle Übergriffe auf Frauen und Mädchen.
c) Dennoch wirft die Geschichte um Beutzen auch bei mir Fragen auf, die den FMD und das MZ betreffen. Sind wir als Leitfiguren wirklich transparent und integrativ mit den uns anvertrauten (jungen) Menschen umgegangen? Waren wir im FMD konsequent, wenn negative Entwicklungen sichtbar wurden? Haben wir den Spagat von Prägen und Freigeben mit der Hausgemeinde und den Mitarbeitenden hinbekommen, oder von Fordern und Fördern? Sind wir in der Lage, Fehlentwicklungen nicht nur zu sehen, sondern auch zu korrigieren, auch dann, wenn es 'ans Eingemachte 'geht'? Wir haben eine hoffentlich freie und vielfältige Frömmigkeit verkündigt und praktiziert. Es ist auch da nicht auszuschließen, dass so ‚Macht‘ ausgeübt wurde. Übt nicht jede Gestalt irgendwie Macht aus? Gab es da bei uns Grenzüberschreitungen? Viele Fragen tauchen auf – und sie zu stellen kann den FMD und die Arbeit des MZ nur bereichern.
Aber alles in Allem: Wer jetzt aus geistlichen Gemeinschaften prinzipiell ‚Sekten‘ macht und aus der Evangelisation Machtausübung von Predigern, der oder die liegt gänzlich falsch.
Fazit für mich: Es schmerzt sehr, Klaus Vollmer als pädophilen und derart übergriffigen Mitchristen einordnen zu müssen. Es schmerzt noch mehr, dass er so vielen Menschen Schaden zugefügt hat. Und es tut weh zu sehen, wie er dem Evangelium und der Evangelisation letztendlich nicht genützt, sondern geschadet hat. Ich bete für die Opfer; für alle, die jetzt ihre guten geistlichen Erfahrungen in Verbindung mit Klaus und Bursfelde einordnen und verarbeiten müssen und für alle, die in den Werken rund um Hermannsburg oder ähnlichen Gemeinschaften ihren Weg suchen.
Am Ende bleibe ich dabei: Wir alle werden uns vor dem Richterstuhl Christi verantworten müssen. Klaus Vollmer selbst weiß vermutlich bereits, was dies genau bedeutet. Hoffen wir für ihn, seine Opfer und uns, dass die Gnade Gottes letztes Wort bleibt.