Lieber Matthias,
dein „Wort zum Sonntag“ in der Allgemeinen Zeitung vom 8.4. kommt mir immer wieder in den Sinn. An dieser Stelle, auch wenn sie wenig angeklickt wird, gebe ich dir mal Feedback und steige gerne in einen Dialog mit dir und auch anderen dazu ein.
Ja, ich stimme dir zu! Jesus war nie „unpolitisch“. Er hat zwar nicht direkt in die (Welt- und Partei-) Politik eingegriffen, sehr wohl jedoch Partei ergriffen: Für schwache und ausgegrenzte Menschen, ob Einzelne oder ganze Volksgruppen, Frauen und Kinder; für Leidende, egal ob hungernd, arm, krank, unterdrückt, ausgebeutet oder psychisch am Ende; sogar für Kriminelle und als ‚Verräter‘ stigmatisierte Leute hat er sich eingesetzt (Straftäter, Zöllner). Speziell die „Sünder und Sünderinnen“ hatten es ihm angetan (Mk. 2,17).
Ja, und in uns überlieferten Reden wie der Bergpredigt (Mt.5-7) hat er klare und auch krasse ethische Positionen eingenommen und etwa ‚Frieden‘ und ‚Gerechtigkeit‘ gefordert. Auch wenn er nicht vordergründig für die Bewahrung der Schöpfung und das Klima eingetreten ist (was damals definitiv kein vorrangiges Thema war), so hat er doch die Schöpfung als gute Gabe Gottes gesehen, viele Bilder aus der Natur gebraucht und sich folglich heute ziemlich sicher mit jenen solidarisiert, die sich für unseren ‚blauen Planeten‘ und dessen Zukunft engagieren.
Auch ‚Gerichtsworte‘ gegen die Zerstörung des Klimas und heutige politische Ignoranz gegenüber diesen Themen kann ich mir von Jesus durchaus vorstellen … allerdings wären diese m.E. vermutlich eher zweitrangig in den Überlieferungen über seine Worte und Lehren platziert. Zur Zeit Jesu war die Sklaverei weit verbreitet, auch Folter, die Todesstrafe und vieles mehr, was heute für uns ‚gar nicht geht‘. Jesus hat ein neues Denken geprägt, das dies alles ablehnt – er ist jedoch nicht politisch und strategisch dagegen vorgegangen. Er hat ‚Zeichen‘ dagegengesetzt, ja. Aber er hat weder Demonstrationen noch politische Einflussnahme durch Aufstände oder zivilen Ungehorsam befördert oder praktiziert und auch nicht ein machtvolles politisches Amt beansprucht, um Missstände zu beseitigen – was ja nicht heißt, dass wir all dies nicht tun sollten (im Gegenteil!) aber auf Jesus können wir uns dabei nicht 1:1 berufen.
Da bin ich bei der „letzten Generation“, jenen Demonstranten, die von vielen in ihrer Motivation zwar verstanden werden, von den einen jedoch wegen ihres Mutes zum ‚zivilen Ungehorsam‘ bewundert und von den anderen dagegen als ‚Klimaterroristen‘ verurteilt werden. Du fragst, was Jesus wohl heute dazu sagen würde und kommst zu dem Ergebnis, dass er mit diesen Aktivisten ‚sympathisieren‘ würde. Vielleicht.
Vielleicht würde er sie aber auch mit harschen Gerichtsworten zurechtweisen, wie er es mit Judas getan hat, der ja vermutlich einen Aufstand gegen die Römer provozieren wollte oder gegenüber jenem Jünger, der zum Schwert griff, als Jesus gefangen genommen wurde. Nein! Keine Gewalt zur Durchsetzung meiner Meinung und der von mir erkannten Wahrheit – dies scheint mir viel mehr zu Jesus zu passen.
Klar, ob ‚Kleben‘ als Gewalt angesehen wird, ist strittig. ‚Nötigung‘ ist es in unserer Gesetzgebung allerdings allemal. Du führst als Beleg, dass Jesus so etwas auch gemacht hat, das Umstürzen der Tische der Geldwechsler im Tempel an. Mal abgesehen davon, dass dies vermutlich ein eher wenig beachtetes ‚Zeichen‘ war und nur in einer Ecke der riesigen Tempel-Anlage passierte (und deshalb weder beim Prozess gegen Jesus noch bei irgendeinem außerchristlichen Geschichtsschreiber erwähnt wurde), richtete sich diese Aktion eben nicht gegen den Staat und dessen Politik, sondern gegen die religiöse Praxis und damit auch gegen die religiöse Obrigkeit, die von solcher Geschäftemacherei profitierte.
„Mein Haus soll ein Bethaus sein, ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht!“ (Lk. 19,46).
Die ‚Demo‘ Jesu richtete sich also gegen falsch verstandene Religiosität, eine die sich nicht auf Gott und die Verkündigung des angebrochenen Gottesreiches und der ‚neuen Gerechtigkeit‘, sondern auf eigenen Profit, auf Vorteile, auf Macht usw. ausrichtete.
Jesus hätte vermutlich gut verstanden, wenn sich jemand vor dem Altar unserer Kirche festgeklebt hätte, wenn jemand die Eingänge zu unseren Kathedralen blockieren oder Talare und Stolen verbrennen würde … aber die ‚Klimakleber‘?
Du schreibst, Jesus habe zur Umkehr gerufen. So ist es. Aber wovon und wohin?
Von Energieverschwendung zum Stromsparen? Von Umweltverschmutzung zu Biodiversität? Ja. Das ist auch richtig und unbedingt erforderlich und eines verantwortlichen Weltbürgers heutige Pflicht! Aber wäre das Jesu zentrales Thema gewesen? Ich denke nicht. Bis heute ist m.E. sein zentrales Thema der Ruf zur Umkehr zu Gott. ‚Metanoia‘ – das griechische Wort bezieht sich auf eine religiöse Umkehr, die dann natürlich (hoffentlich und letztlich zwingend) auch physische Folgen im Alltagsleben und Verhalten hat. Dazu wird dann (hoffentlich und aus meiner Sicht ebenfalls zwingend) auch ein verantwortlicher Umgang mit Blick auf den Klimawandel führen – aber Jesus ging es primär immer um die Ankündigung des Reiches Gottes und den Ruf zur Umkehr und zur Annahme der Einladung in die jetzt mögliche Gottesbeziehung. Alle ‚Zeichen‘, die er gesetzt hat, ob nun ‚Wunder‘ oder ‚Worte‘ oder ‚Lebensstil‘, waren von diesem Ruf zur Umkehr zu Gott motiviert.
Du schreibst auch, dass er mit seinem Ruf zur Umkehr die ‚drohende Katastrophe ihrer Zeit abwenden‘ wollte. Ja. Das will er bis heute. Diese Katastrophe ist für ihn aber nicht eine Klima- sondern eine Gottesverlust-Katastrophe. Dass diese Welt vergeht, war für ihn ja sogar Bestandteil seiner Zukunftserwartung. Er ging auch davon aus, dass wir Menschen dies letztlich nicht verhindern können, sondern Leben und Sterben sowohl individuell als auch global waren für ihn Teil der Wirklichkeit unserer Existenz. Einzig die Bindung an Gott und sein Wort bedeuten aus Jesu Sicht Rettung und Leben für die Menschheit (Mt. 24,35). Die ‚Umkehr‘, von der Jesus sprach, ist also keine moralische, politische, stilistische oder sich in einzelnen Aktionen artikulierende, sondern radikal. Mit oder ohne Gott leben? Sich mit Gegenwart und Zukunft Gott anvertrauen oder es selbst in die Hand nehmen? Es ihm überlassen, oder meinen, sich selbst aus dem „Dreck“ ziehen zu müssen und zu können?
Ich frage mal nur: Könnte es sein, dass wir als Kirche und Christen eben diesen Ruf zur Umkehr verschweigen und Jesus heute deshalb eher zum ‚Kirchenkleber‘ geworden wäre als zum ‚Klimakleber‘? Wir rufen zu allen möglichen Veränderungen auf – aber sind nicht radikal genug, trauen uns nicht an die Wurzel des Übels. Wir machen aus Jesu Ruf zur Umkehr einen moralischen Appell und appellieren an unsere eigenen und unsere menschlichen Möglichkeiten. Dies jedoch widerspricht allem, was ich (reformatorisch) unter „Evangelium“ verstehe. Gott macht es! Er kann es und er wird dem Leben zum Sieg verhelfen. Er ist der Garant für mein persönliches Überleben und auch für die Zukunft unseres Planeten und den Kosmos insgesamt …
Verliere ich deshalb an Kraft zum Engagement für das Erreichen der Klimaziele? Ich glaube nicht. Im Gegenteil. Angst war noch nie ein guter Ratgeber, auch nicht die Angst vor dem Weltuntergang. Auch Sprüche wie „Wir schaffen das noch, aber nur, wenn wir …“ erscheinen mir angesichts der Globalität der Krise wie Strohhalme, an denen ich meine Hoffnung entgegen aller Vernunft festklammere. Nein. Ich baue auf Gottes Erhaltung dieser Welt samt dem Klima auf dieser Erde. Er wird auch trotz unserer Schuld im Umgang mit dem Klima seine Geschichte ans Ziel bringen – so wie er auch mein kleines Leben trotz meiner Schuld zur Erfüllung bringt. Weil ich das glaube und darauf baue – und weil ich inzwischen für den menschengemachten Klimawandel und vieles mehr sensibilisiert bin, investiere ich für PV und Wärmepumpe, spare Energie, fahre weniger Auto usw. Ich weiß, dass mein ökologischer ‚Fußabdruck‘ als Bewohner eines Industrielandes immer noch viel zu groß ist – aber auch, dass ich weder allein die Welt retten werde, noch wir alle zusammen …
Und die „Letzte Generation“? Ich gehöre zu denen, die deren Sorge verstehen, ihr Agieren jedoch für undemokratisch, gewissermaßen a-sozial und gesetzlos halten. Auch Streiks (zum Teil wie durch die Piloten kleiner) Gewerkschaften, erleben viele als ‚Nötigung‘ und ärgern sich über solche Behinderungen des normalen Lebens – nur weil einige meinen, ihre Meinung durchsetzen zu müssen. Verständlich, solch Ärger. Der Unterschied liegt aus meiner Sicht allerdings in der Rechtmäßigkeit: Streiks werden angekündigt, angemeldet und genehmigt. Somit sind sie durch demokratisch legitimierte Regeln gedeckt - anders als bei den Klimaklebern. Wenn wir autokratische Systeme ablehnen (die z.B. Klimagesetze problemlos verordnen und mit Gewalt durchsetzen könnten), zugleich jedoch autokratische Zwangsmaßnahmen von (kleinen) Gruppen oder Einzelnen zulassen, erscheint mir das widersinnig.
Zudem, und das halte ich für gravierender, schaden sie der Klimabewegung, weil sie jene, die man für den Klimaschutz gewinnen könnte, eher abschrecken. Zurecht kritisieren wir ‚Mission‘, wenn sie mit Zwang, Druck und Angstmache verbunden ist – warum sollten wir die Methoden der ‚letzten Generation‘ anders bewerten und legitimieren?
Inzwischen ist die Klimafrage m.E. nicht mehr ein Problem der intellektuellen Aufklärung, zumindest nicht hier bei uns. Weiß hier noch jemand nicht, worum es geht? Ich kenne niemanden. Etwas zu tun ist viel eher unser Thema – darum geht es ja auch der ‚letzten Generation‘. Zum Tun bringen mich a) Einsicht, b) praktikable Möglichkeiten und c) Anreize (Geld sparen oder andere Vorteile). All dies ist zuerst eine politische Aufgabe. Bildung, praktikable und bezahlbare Technik und Gesetzgebung – hier bei uns kann man das alles durch eigenes Verhalten inklusive Sprechen (und Schreiben) und durch Wahlen mit beeinflussen. Leider offenbaren sich auch in der Klimafrage Schwächen unserer Demokratie. Es regt und formiert sich Widerstand: AfD und weiter rechts außen, linke Friedensdemos, Coronaleugner & Co. und andere (auch größere) Gruppen versuchen, ihre Meinung durchzusetzen. Dazu gehören auch die ‚Klimakleber‘. Sollten sich sie oder sollten sich die anderen Meinungsmacher durch Umgehung demokratischer Entscheidungswege gewaltsam durchsetzen, wäre dies aus meiner Sicht schlimm. Folglich lehne ich sie ab.
„Jesu Sympathie“ als Argument beim Für oder Gegen erscheint mir extrem problematisch. Er steht aus meiner Sicht für die Erlösung zum (ewigen) Leben, die Gemeinschaft mit Gott und die Solidarität mit allen Menschen. So ist es für mich natürlich wichtig zu fragen: „What would Jesus do?“ – aber selbst wenn ich es im Einzelnen wüsste oder ahnte, so würde er mich und uns vermutlich oft genug überraschen. Sich instrumentalisieren ließe er sich jedenfalls nicht. Auch nicht für oder gegen die Klimakleber …
Danke, Matthias, dass du meine Gedanken gelesen hast und versuchst, sie zu verstehen. Ich weiß, dass du das Meiste ohnehin genauso siehst und glaubst und vermute, du wolltest im ‚Wort zum Sonntag‘ einfach etwas plakativ deutlich machen und zur Veränderung unseres Verhaltens aufrufen. Ach ja, und ich achte Deinen durchweg glaubhaften Einsatz für unser Klima sehr!
Bis dann mal, liebe Grüße, Hermann.
PS: Meine Frau meint, so viel zu deinem Artikel wäre nicht angemessen und würde deine doch positive Intention ignorieren - mag sein. Aber ich nehme deinen Artikel einfach mal zum Anlass, meine eigene Position zu reflektieren. Deshalb: Danke!
Hier eine Reaktion von Pastor Kuna. Es lohnt sich, die Texte der mitgelieferten Links zu lesen. Den weiteren Dialog mit Matthias drucke ich hier nicht ab. Danke, Matthias:
Meine theologischen Ausführungen waren angesichts der Zeichenbegrenzung in der AZ natürlich sehr verkürzend. Auch deine Kritikpunkte kann ich zum Teil nachvollziehen.
Als theologische Grundlage liegt meinem "Wort zum Sonntag" folgender Artikel aus den Zeitzeichen zu Grunde: https://zeitzeichen.net/node/10331
Geschrieben von einem Theologie-Professor aus Mainz.
Vielleicht hast du ja Zeit, den Artikel zu lesen - ggfs. kannst du auch gerne in deinem Blog verlinken.
Einen Punkt sehe ich allerdings ganz anders: Undemokratisch ist die Bewegung m.E. überhaupt nicht. Sie nehmen die aktuelle Gesetzeslage (Klimaschutzgesetz von
2021 !!!) ernst - und dieses wurde von einer demokratisch legitimierten Regierung und einem demokratisch gewählten Parlament beschlossen.
Ein m.E. guter Artikel dazu: https://taz.de/Letzte-Generation-und-Reichsbuerger/!5900327/
Dass die Aktivisten Gesetze brechen, ist klar (wer sich auf die Straße setzt oder festklebt, bricht die Straßenverkehrsordnung, logisch). Aber sie richten keinen bleibenden körperlichen Schaden an und sind gewaltfrei. Wenn man als Autofahrer im Stau steht oder seinen Flug verpasst, ist das vielleicht ärgerlich... aber "gefährlich" oder "undemokratisch" ist es nicht.