Das Gleichnis von der verlorenen Drohne

Die Sonne scheint, es ist trocken. Letzte bunte Blätter hängen müde in den Büschen. Die meisten Bäume sind winterlich kahl. Nach Nebelgrau und nasskalten Schmuddeltagen zeigt sich der November von seiner guten Seite.

„Gutes Flugwetter,“ denke ich und nehme meine neue Mini-Drohne zur Hand. Ein Spielzeug für Große. Nach ersten gescheiterten Indoor-Flugversuchen will ich endlich ihre Flugfähigkeit herstellen und ihr Verhalten feinjustieren.

Die Gebrauchsanleitung auf chinesisch verstehe ich nur, weil einige englische Wörter und vor allem Zeichnungen dabei sind. Rauf, runter, links, rechts ... kann ja so nicht schwer sein. Aufgeladen ist das kleine Technikwunder auch. Es kann also losgehen.

Das Leben findet seinen Weg ... 

 

Meine Drohne startet. Weiter hinten brummt ein Helikopter, einer von der Armee. Schreck, nur nicht zu hoch fliegen. Ob die ein Drohnen-Abfang-System an Bord haben? Nun steht mein Minicopter in der Luft. Ich freue mich wie ich mich damals als kleiner Junge über meine ersten Radfahrerfolge gefreut habe. Rechts, links, hoch, runter, hoch. Die Steuerung ist irgendwie fummelig. Die Drohne steigt. Ihr schrilles Summen wird leiser. Nun wieder runter. Geht nicht.

Das Fluggerät driftet von mir weg. Immer weiter, so als habe sie einen eigenen Kopf und wolle auf meine Signale nicht hören. Wo war noch mal der Rückwärtsgang? Keine Ahnung. Längst schwebt das Gerät wie eine unkontrollierte Riesenhornisse über dem Nachbargrundstück. Ich hinterher, den Blick nach oben, die Finger panisch bewegend an der Fernbedienung und mit den Füßen auf und über den Komposthaufen. Jetzt durch die Büsche und über die kleine Mauer zum Nachbarn. Ich hoffe, ich kann das Ding landen, auf dem nachbarlichen Rasen oder wenigstens auf der Straße. Nichts. Ich begreife jetzt, warum man für Drohnen eine Versicherung abschließen muss. Was, wenn das Ding jemandem auf den Kopf fällt? Oder einem Auto vor die Windschutzscheibe kracht? Oder in die Rotoren eines Hubschraubers gerät ...? Nein, so hoch kann sie nicht fliegen.

Nun ist sie über die Straße und über dem Dach des nächsten Hauses. Dort wohnt ein Mann mit drei riesigen Bernhardinern. Auf dieses Grundstück bringen mich keine zehn Pferde, geschweige denn eine widerspenstige Drohne. Ist auch nicht nötig. Mein Spielzeug ist verschwunden. Man soll auf Sicht fliegen – leicht gesagt. Das Haus steht dazwischen. Fliegt sie überhaupt noch? Vermutlich. Ich muss sie runterholen. Panisch betätige ich die Fernbedienung. Ich bezweifle allerdings, dass wir immer noch in Verbindung sind.

 

Ich laufe zur Hauptstraße und suche den Himmel über dem Garten ab, bis hin zu den hohen Eichen. Ob sich mein Dröhnchen darin verfangen hat? Mein Blick geht wieder hinab, versucht die Hecke zum Grundstück zu durchdringen. Irgendetwas blinkt ganz hinten im Garten. Wie ein Notsignal sieht es aus, oder wie das Aufblitzen letzter Energiereserven. Sie ruft um Hilfe. Ein Glück, sie ist gelandet. Oder abgestürzt, was ich doch eher vermute.

Ich umrunde das Eckgrundstück samt Haus. An der Hauptstraße gibt es ein breites Tor. Ein Schild „Warnung vor dem bissigen Hund“ hält mich zurück. Dort hinten liegt meine Drohne, eingeklemmt zwischen Zaun, Busch und irgendwie in der Luft hängend. Aber sie fliegt nicht mehr. Sie blinkt nur noch müde.

Ich gehe zur Haustür und klingle. Keine Reaktion. Ein Auto steht vor dem Tor zu Hof und Garten. Trotzdem öffnet niemand. Was tun? Einfach auf’s Grundstück gehen? Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und einen wilden Köter in Kauf nehmend? Letzteres wäre vermutlich das größte Risiko. Ich gehe zurück ans Gittertor.

Ich rüttle ein daran, absichtlich geräuschvoll und lange. Der Hund kommt nicht, noch nicht. Es sieht mich auch niemand. Das Tor lässt sich öffnen. Also schiebe ich langsam den Riegel hoch, bewege einen der beiden Flügel und starre dabei in jede Ecke des Grundstücks. Immer noch kein Hund. Ich betrete den Hof, schließe das Tor ohne den Riegel vorzuschieben und immer bereit, der Hundebestie zu entkommen. Dann umrunde ich einige Büsche und stehe am Zaun eines großen Käfigs.

Kein Hund, dafür aber ein Huhn glotzt mich an. Meine Drohne zappelt hilflos im feinen, grünen Netz über dem Hühnerkäfig. Zum Glück ist der nicht mit einem Schloss versehen. Das braune Huhn guckt mich an, als verstehe es meine Not, als ich den Stall vorsichtig betrete. Ja, dieser Auslauf ist grässlich. Kein Grün, nur schwarze, klebrige Erde. Schritt für Schritt taste ich mich vorsichtig über den schmierigen Boden. Unter das feine Netz gebückt erreiche ich meine Drohne. Zum Glück hat das Netz ein Loch. Ich kann meinen verlorenen Schatz wieder an mich nehmen. Ich freue mich, muss aber noch sehn, dass ich hier raus komme. Hühnerstall und Hoftor schließen, noch mal gucken, ob mich jemand gesehen hat und den langen Weg nach Hause, ganz ohne verbotene Abkürzungen über Nachbargrundstücke. Der Rückweg verläuft zum Glück ohne Zwischenfälle.

 

Und nun? Die Drohne unbenutzt herumliegen lassen? Oder gar abschaffen? Oder nur Indoor-Flugversuche? Nein. Ich werde es wieder versuchen. Ich will, dass meine Drohne fliegt – rechts, links, hoch, runter, mit Looping und Fotos von oben. Ich will, dass sie erfüllt, wozu sie gemacht ist und ich mich an ihr freuen kann.