Corona - wie ich es sehe ...

 

Zur Diskussion: Corona, wie ich es sehe, auch geistlich ... 

Im Landkreis Uelzen waren bis Anfang Januar (3.1.2021) die Inzidenzwerte der Ansteckungen mit Covid19 niedrig, meistens deutlich unter 50 auf 100.000 Einwohner. Für eine lange Zeit war unser Landkreis sogar so etwas wie das gallische Dorf im römischen Reich (siehe Grafik vom 15.12.20). Allerdings hat sich das radikal verändert. Im Februar schnellte der Wert auf über 250. 

Natürlich gibt es da diverse Diskussionen. Die Maßnahmen der Regierung wurden (m.E. oft zurecht) befragt. Wenn man sie auch grundsätzlich befürwortete, für den persönlichen Bereich sah man manches anders, z.B. die Kontaktbeschränkungen. Wenn z.B. mehrere Haushalte relativ isoliert leben und sich immer dieselben Personen treffen, warum dann diese krassen Begrenzungen? So wurde und wird auch im 2. Lockdown argumentiert, auch in unserer Familie. Alle geäußerten Argumente sind nicht nur von Gefühlen, sondern auch von „Vernunft“ und „Denken“ bestimmt, unterscheiden sich jedoch trotzdem im Ergebnis. Grund, meine eigene Position zu bedenken – ich denke gerne systematisch und sortiere meine Gedanken beim Aufschreiben ...

Was ihr hier lest ist der Versuch, eine Haltung zu finden und sie ins Handeln umzusetzen. Wohl wissend, wie schwierig dies wird, wenn meine nahen Mitmenschen zu anderen Ergebnissen kommen.

 

Wir alle werden sterben.

Ich fange mal krass an, weil mir oft die Haltung begegnet, man müsste Sterben auf jeden Fall vermeiden. Das wird nicht gehen. Sterben zu akzeptieren ist m.E. lebenswichtig. Ich muss mit meinem Tod und dem anderer, auch geliebter Menschen, leben. Ihn zu verdrängen ist nicht nur unrealistisch, sondern auch lebensverneinend. Gerade angesichts meiner zeitlichen Begrenztheit kann ich Inhalte, Prioritäten, Sinn und Wesentliches für mein Leben erkennen und umsetzen. (Bedenke dass du sterben musst, auf dass du klug wirst. Ps 90,12)

Wann wir und wie wir sterben, liegt allerdings nicht in unserer Hand – es sei denn, wir vertreten einen radikalen Individualismus mit dem Recht, jederzeit selbst über unseren Tod zu verfügen. (Selbst dann werde ich hoffentlich beachten, dass immer andere Menschen mit betroffen sind und sie ggfl. gegen ihren Willen unter meiner individuellen Entscheidung leiden müssen. Ich greife also mit meinem vermeintlichen Recht auf Selbstbestimmung in die Rechte anderer auf deren Selbstbestimmung massiv ein.)

 

Unser Leben liegt in Gottes Hand.

Es ist entscheidend, wie wir „Gott“ definieren. Ist er einfach nur „Schicksal“ oder ein anderes Wort für „Naturgesetz“ gibt es keine Regeln außer dem unerklärlichen Zufall. In diesen Zufall muss ich mich dann fügen und kann nichts dagegen tun. „Fatalismus“ nennen wir das, „Schicksalsergebenheit“. Ist Gott sogar der Verursacher von Krankheit und Seuchen, sprechen wir von „Strafe Gottes“, von „Läuterung“, „Prüfung“ oder „Zeichen der Endzeit“. Biblisch gibt es auch dafür einzelne Belege, weil solch Gottesbild zu jenen Zeiten das Denken bestimmte.

Beziehen wir uns allerdings auf Jesus Christus, greifen alle diese Erklärungen nicht wirklich. Das Leiden wird letztlich auch in der Bibel weder erklärt noch relativiert noch weggezaubert. Es bleibt. Allerdings: Es gibt keine Gott-losen Bereiche. Gott ist auch im Leiden und Sterben an unserer Seite. ER ist unser Leben, auch im Leiden und sogar über den Tod hinaus.

 

Gott des Lebens.

Jesus setzt sich für Kranke, Leidende und Benachteiligte ein. Er verkörpert den Gott des Lebens und gibt niemals jemanden auf. Somit sind auch wir ethisch verpflichtet, für und um jedes Leben zu kämpfen. Dies gilt für Kranke, Sterbende, Arme, Flüchtlinge und Alte gleichermaßen. Wohl wissend, dass manche von ihnen es nicht schaffen, und wir es klimatisch am Ende sogar als Menschheit möglicherweise nicht schaffen, setzen wir uns für das Leben aller ein, unabhängig von ihrer Religion, der Hautfarbe und Herkunft, der Ideologie und eben auch des Alters.

 

Jedes Leben ist wertvoll.

Jesus setzt sein Leben für alle ein. Für Gott ist also jedes Leben wertvoll. Wir Menschen sehen (je nach gesellschaftlichen Normen verschieden) Unterschiede im Wert des Lebens. So wird bei uns „jung sterben“ als viel schlimmer eingeordnet als „alt sterben“. Ob Gott dies auch so sieht ist m.E. fraglich. Es sterben leider auch Kinder. Ob Gott auch deren Leben als „erfüllt“ und vollwertig ansieht? Ich hoffe es sehr! Aus meiner Sicht sollen und müssen wir uns für das Leben von Kindern einsetzen (die Kritik, dies zu wenig zu tun und Kinder verhungern oder ertrinken zu lassen, ist zu 100% berechtigt!) – aber gleiches gilt auch für Behinderte, Flüchtlinge im Meer, „Risikogruppen“ und alte Menschen. Eine Abwägung mag in Extremsituationen unvermeidlich sein, muss jedoch so lange es geht vermieden werden (z.B. auf Intensivstation), wenn wir wie Gott selbst jedes Leben als gleichwertig ansehen.

 

Menschenleben schützen.

Der Schutz des Lebens ist und bleibt immer die Aufgabe aller Menschen – allemal wenn wir Christus folgen wollen. Klimaschutz, Frieden, Gesundheitswesen, Sozialwesen usw. sind dabei politische Ebenen, auf denen sich dies abspielt. Unsere Politiker werden verpflichtet, Schaden vom Volk abzuwenden. Dies ist leider meistens recht kleinstaatlich gedacht. Wir Menschen sind sogar verpflichtet, Schaden von uns allen abzuwenden. Allemal in einer Pandemie ist deshalb eher globales als staatliches Denken und Handeln angesagt. Dies wird spätestens bei der Verteilung eines Impfstoffes und der Hilfsmilliarden hochaktuell.

 

Leben ist mehr als Lebendigkeit

Das physische Leben ist die Voraussetzung für jede Lebensqualität und jede Ausprägung des Lebensglücks. Deshalb steht der Schutz physischen Lebens gewissermaßen an 1. Stelle.

Schutz des Lebens erschöpft sich allerdings nicht im Schutz der Lebendigkeit. Auch Grundbedürfnisse müssen geschützt werden: Nahrung, Wasser, Luft, Wohnung usw. Auch dies zu schützen sind Politiker verpflichtet. Auch die Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Bildung usw. gehören dazu. Alles zusammen ergänzt das gesunde physische Leben und macht es  „lebenswert“. Im Schutz solchen Lebens sind wir in unserem Land weit gekommen. Wir leben im Vergleich zu Milliarden anderen Menschen auf der Sonnenseite des Lebens. Dies zu bewahren ist wichtig, dort wo es anders ist, solche Lebensqualität zu ermöglichen gleichermaßen.

 

Verhältnismäßig handeln

Ohne Prioritäten zu setzen, geht es nirgendwo. Das Leben und seine Qualität schützen, wo liegen dafür die Prioritäten? Leben retten um jeden Preis wäre fatal. Alte und „Risikogruppen“ isolieren, also 1/3 der Bevölkerung, ist extrem aufwändig und funktioniert nicht ohne spürbare Einschränkung der verbleibenden 2/3 als Infektionsträger. Außerdem ist das Virus zu gefährlich. Viele Jüngere wurden ebenfalls infiziert, sind auch gestorben oder leiden unter Spätfolgen. Was m.E. gewiss zur Eindämmung an Kontaktbeschränkungen nötig ist: Maßnahmen in Altenheimen ohne Menschen in Einsamkeit zu treiben, Arbeitsleben und Bildung unter Hygienebedingungen und digitalen Methoden ohne generelle Schließungen, Verkehrswesen ohne Enge und Menschenballungen, Kultur und Gastronomie unter AHA-Bedingungen.

Alle leben für eine gewisse Zeit eingeschränkt. Ein harter Lockdown, wenn er nötig wird, trifft ebenfalls alle. Dies alles ist „verhältnismäßig“, wenn es sich an der Bedrohung orientiert.

Ich halte das föderale System, ja sogar die Orientierung an kleineren Einheiten wie Landkreisen (je nach Inszidenzwert) für angebracht, um „Verhältnismäßigkeit“ zu definieren. Außerdem: Jene, die besonders gefährdet sind, werden dabei vermutlich genau wie jene, die besonders gefährden, mehr Einschränkungen auf sich nehmen müssen als andere. Also die „Risikogruppen“ und jene Menschen, die sich ohne Maßnahmen gerne in „Rudeln“ treffen, werden am meisten Einschränkungen bekommen – das wäre „verhältnismäßig“.

Wirtschaftliche Hilfe muss dabei allen zuteil werden und wird ja bekanntlich auch von allen solidarisch über Steuern finanziert, selbst noch von der nächsten Generation. In Deutschland sind wir da in einer vergleichsweise komfortablen Situation.

 

Opfer bringen

Opfern ist für Christen in Jesu Nachfolge eher Gewinn als Verlust – theoretisch.

Ohne den Einsatz sehr unterschiedlicher Opfer kann die Pandemie nicht bewältigt werden. Sie ist also gewissermaßen eine gute Gelegenheit für Christen, sich zu bewähren. Das normale Leben wird eingeschränkt, die Freiheit Einzelner endet dort, wo Leben und Freiheit anderer geschützt werden müssen. Es gibt offizielle Regeln, deren Missachtung Konsequenzen hat und es gibt zusätzlich eine individuelle Verantwortung füreinander. Letztere kann durchaus passender auf die persönliche und örtliche Situation angepasst sein und dann auch in Konflikt mit den staatlichen Verordnungen kommen, jedoch auch wesentlich strenger ausfallen als diese.

Individuell zu beantworten ist die Frage: Welche Opfer bin ich bereit wofür zu bringen? Dabei leitend wird auch die Frage sein, welches das größere Opfer ist: Ein kurzzeitiger Verzicht auf Gewohntes, Begegnungen oder Freiheiten – oder ein längerfristiger Schaden. Sollte es ausgerechnet durch meine vermeintliche Freiheit zu Ansteckungen kommen, schade ich nicht nur mir selbst, sondern auch anderen.

 

Selbst krank werden

Der Kreis schließt sich. Verfüge ich über mich selbst? Wäre ich allein auf der Welt, vielleicht „ja“. (Abgesehen davon, dass ich Eigentum Gottes bin!) Ich bin jedoch nicht allein auf der Welt. Wenn ich meine Gesundheit einsetze, betrifft das viele andere (nicht nur aber auch, weil ich ansteckend bin!). Meine Familie und Partner/in sind betroffen, aber, je nach Schwere meiner Krankheit, auch das Gesundheitssystem, die dort arbeitenden Menschen und jene, denen ich möglicherweise einen Platz wegnehme. Wenn ich gar vorzeitig sterbe, nehme ich mir selbst und auch meinen Liebsten Jahre oder Jahrzehnte vom Rest meines sonst möglichen Weiterlebens. Mein Fazit ist, dass ich lieber nicht an Covid 19 erkranken will und dies auch niemandem sonst zumute. Verzicht und Opfer für eine begrenzte Zeit sind somit aus meiner Sicht nicht nur „vernünftig“, sondern auch für die Beziehungen, in denen ich lebe und meine eigenen Lebensträume unbedingt notwendig. Meine Liebsten wie ich selbst wollen gerne noch viele Jahre mit mir verbringen, da bin ich sicher!

 

Vertrauen - Impfen

Es liegt auf der Hand: Sich impfen lassen ist ein Vertrauensschritt. Ich vertraue mich dem von Menschen gemachten (und damit sind auch Fehler möglich) Impfstoff an. Ich vertraue jenen, die das Impfen propagieren. Ich vertraue, dass je mehr geimpft sind, die Pandemie zurückgedrängt wird. Ich vertraue meinem Gott. Letzteres steht für mich hinter allem. Somit bleibt Impfen Vertrauenssache – so wie auch meine Bewertung und mein Verhalten immer wieder vor allem vom Vertrauen bestimmt werden. Ich vertraue den Virologen, den Politikern ... Wer solch Vertrauen nicht aufbringen kann oder will, wird sich nicht in die Hand anderer Menschen begeben – und vermutlich auch nicht in die Hand Gottes. Denn dies ist ja das göttliche seit Gott in Jesus Mensch geworden ist: Gott begegnet uns im Menschen. Auch „Vertrauen“ in diesen Gott erweist sich somit im Vertrauen zu Menschen. Gleiches gilt für Verantwortung, Treue, Liebe usw.

 

Corona, wir sehen, wer und wie wir sind ...

Einige sehr menschliche und teilweise auch schmerzliche Merkmale meiner und unserer Haltungen, Gewohnheiten, Dogmen usw. bringt die Pandemie ans Licht. Einige Beispiele, ganz ohne Wertung beobachtet.

 

- die Angst zu sterben und vor dem Tod bringt uns dazu, die Gefahr zu leugnen, sie zu bagatellisieren, sie aber auch zu übersteigern, die Pandemie zum einzigen Thema zu machen, uns ins Private zurückzuziehen, uns zu verkriechen, durch Pläne und Handeln die Kontrolle zu verlangen usw. Im Grunde ist dies die Urangst, die eine solche Pandemie bei uns auslöst. Wie bei jeder Angst kommt es zur Lähmung (Kaninchen vor der Schlange), Angriff (Aktionismus) oder Flucht.

 

- Schuldige suchen und finden ist überall und weit verbreitet. Meist wird die Richtung, wo Schuldige zu finden sind, von den vorherigen politischen und weltanschaulichen Haltungen bestimmt: Die Chinesen, die etablierten Politiker, die Regierung, die partygeilen Jugendlichen, die unvorsichtigen Nachbarn, die Superreichen (Bill Gates), die nicht vorbereiteten Krankenhäuser usw. Das alte Schiebespiel mit dem Abschieben von Schuld auf andere geht weiter. Wir werden zu Richtern über andere Menschen und deren Verhalten. Von stillem Kopfschütteln bis hin zum Blockwarte-Verhalten in diktatorischen Systemen gehen wir unterschiedlich mit unserer Richter-Rolle um. Ich selbst will es natürlich nicht gewesen sein. Ich bin Opfer von Schuld anderer. Dass die Entstehung und Verbreitung des Virus mit dem Umgang mit der Natur, dem Klima usw. zu tun hat, mag stimmen – aber was habe ich persönlich damit zu tun? So schieben wir unsere Verantwortung von uns weg ...

 

- wie klein und hilflos wir sind ... Diese Einsicht ernüchtert und schmerzt. Ein kaum sichtbares Virus bringt die moderne, reiche, hoch technisierte und vor Waffen strotzende Welt zu Fall. Besonders die „Starken“ können das nicht dulden. Sie leugnen das Virus, sie haben alles im Griff.

Die Klugen unter uns dagegen verstehen, dass Leben, Macht und Stärke extrem verletzlich sind. Was heute gilt, kann morgen schon überholt sein. Die Bibel nennt solche Haltung „Demut“. Die Verletzlichkeit besonders einer hoch technisierten Welt zu realisieren kann eines der großen Lehren aus der Pandemie werden. Mittendrin dann wieder alle Hoffnung auf die Digitalisierung und moderne Medizintechnik zu setzen, würde dem nicht gerecht, sondern ist nur eine andere Spielart jenes Hochmuts, der schon die Konstrukteure der ‚Titanic’ zu Fall brachte.

 

- abhängig und frei sein ... das schließt sich für manche aus. Deshalb wehren sie sich gegen Abhängigkeiten und kämpfen für ihre Freiheit. Sogar die Maske wird dann zum Symbol der Fremdbestimmung. Für andere ist sie Symbol der Freiheit. Wir schützen einander. Wir stehen füreinander ein. Freiheit ohne Abhängigkeit ist tatsächlich eine Illusion, ist Anarchismus. Frei kann nur sein, wer Bürger einer „Polis“ ist, so war es im römischen Reich. So ist es bis heute: Frei kann nur sein, wer irgendwo hin gehört. Alles andere ist „vogelfrei“, ist gefährlich und Leben auf Kosten anderer. Corona hat uns gezeigt, dass wir nicht vollkommen „frei“ sind. Wir sind als Bürger unseres Landes dessen Gesetzen und der Exekutive (zum Glück in einer Demokratie) unterworfen. Wir müssen reagieren, uns einstellen, unsere Freiheit anpassen ... In dieser Dynamik spielt sich Leben in Freiheit ab, nicht im entweder frei/oder abhängig, sondern als Freiheit innerhalb der Bindung, die ich eingegangen bin.

 

- Bewährung in der Krise. In der Krise wird eine Gemeinschaft stark. Das stimmt. Viele übernehmen Verantwortung, opfern sich sogar für andere auf. Gleichzeitig blüht jedoch der Egoismus. „Wenn jeder an sich selbst denkt, wird an jeden gedacht!“ auch so lautet das Credo vieler und wird von jenen, die Isolation fordern noch gestärkt. Ob Dorfgemeinschaft, Kirchengemeinde, Ehe oder Familie – die Krise wirkt als Katalysator unserer Qualitäten und Schwächen. Das ist so. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, wenn wir z.B. Schwächen feststellen. Werden wir demütig und lernbereit? Geben wir einander unsere Schuld zu? Können wir Versagen eingestehen? Und Fehler? Das wäre dann m.E. Teil der Bewährung in der Krise.

 

- Prioritäten setzen. Was ist wirklich wichtig? Dies zu fragen ist eine Chance, wenn es kritisch wird. So lange jemand alles hat, bleibt solche Frage Theorie. Erst wenn wir verlieren, abgeben müssen, uns einschränken usw. stellt sich die Frage existenziell. Worauf kommt es an? Welche Bedeutung hat mein Einkommen? Die Firma? Die Familie? Mein guter Ruf? Die Bühne? Die Kanzel? Der Gottesdienst? Das Singen? Worauf will oder kann ich auf keinen Fall verzichten? Was jedoch kann auch wegfallen? Und was muss vielleicht sogar wegfallen, damit ich mich auf Wesentliches konzentriere? Was brauchen wir als Gesellschaft oder als Kirchengemeinde unbedingt – und was nicht? Diese Fragen nun nicht nur theoretisch sondern existenziell zu stellen, zwingt uns (zumindest viele von uns) Corona. Ich halte das für anstrengend aber gut.

 

- Gerechtigkeit muss errungen werden. Sie ereignet sich nicht von selbst, sondern das Gegenteil ist der Fall: Die Schwächsten leiden am meisten. Die Ärmsten, die Bildungsfernen, die Kleinsten, Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern, Kranke, Soloselbstständige, KünstlerInnen, Kleinbetriebe usw. Sie stellen den größten Teil der Verlierer in der Pandemie. Daran ändern auch die Milliardenhilfen nicht viel. Wieder fragt sich, was ‚Gerechtigkeit’ bedeutet. „Jedem das Gleiche!“ So fordern es viele. Wenn die Frisöre öffnen, dann wir doch auch. Wenn die Lufthansa soviel Geld kriegt, dann mein Geschäft doch auch! Schön wär`s. Diese Art von ‚Gerechtigkeit’ ist schon immer u-topisch (griech. = kein Platz). Nur diese Gerechtigkeit ist eine irdische Möglichkeit: „Jedem, was er oder sie zum Leben braucht.“ Dies zu erkämpfen ist m.E. die große Herausforderung überhaupt. In der Pandemie erweist sich, ob wir diesen Kampf aufnehmen. Er ist geprägt vom Einsatz der ‚Starken’ für die ‚Schwachen’.  

 

- Wie flexibel ist mein Glaube? Dies ist eine Variante vom vorigen Punkt. Ohne Singen Gottesdienst feiern? Mit Maske? Für mich ist das nichts. Also gehe ich seltener hin ... Und was, wenn ich die Gottesdienste gar nicht vermisse? Bleibe ich dann auch nach der Pandemie zu Hause? Das zu klären bin ich herausgefordert. Und wie ist es mit der Mission? Wie schön, dass auch Kirche die digitalen Möglichkeiten entdeckt und nutzt. Aber sind diese wirklich Ersatz für persönliche Beziehungen? Für Präsent-Veranstaltungen, -Freizeiten, -Glaubenskurse, -Gruppenarbeit usw.? Wohl kaum! Welche Bedeutung hat Gemeinschaft für meinen Glauben? Und Gespräch, Diskussion usw. Und anders herum: Ich entdecke das Lesen, Filme und das Internet als Gottes Möglichkeit, mich anzusprechen.

Alles in Allem: Wenn ich entdecke, dass ich all das nicht brauche, weil nämlich Christus mich im Glauben hält und nicht meine ‚Gläubigkeit’ samt religiöser Gewohnheiten, kann ich mich selig preisen! Und wenn ich all das dann als Gottes gute Gaben wahrnehme, durch die er mich und uns geistlich bereichert, wird mein Glück umso größer!